Ist es wirklich so, dass Emotionen noch immer im Schatten der Anerkennung leben und manchmal sogar abgewertet werden? “Sei nicht so emotional”, “Emotionen sind Ausdruck von Schwäche” – und kürzlich sagte jemand zu mir, dass er/sie lediglich eine Beziehung mit mir habe, in welcher gar keine Emotionen Platz hätten.
Sind damit vielleicht Emotionsausbrüche gemeint, welche vom Sachverhalt wegführen könnten? Oder könnte es sein, dass Emotionen vielleicht eher oder sogar zu peinlich anrühren? Das ist eigentlich gar nicht so abwegig, denn – so wage ich zu behaupten – Emotionen haben die Eigenschaft, etwas von unserem Inneren, was wir nicht steuern können, also etwas Intimes und vielleicht etwas Unbekanntes, auszudrücken.
In der Tanztherapie betrachten wir die Emotionen als die Kräfte, die den Körper bewegen und formen und dabei Veränderung, Modulation, Transformation und demnach Entwicklung in Gang setzen. Auf geheimnisvolle Weise vermitteln die Emotionen zwischen Psyche und Körper, Geist und Intuition. Emotionen sind also die wertvolle Grundlage für Entwicklung und Verbindung.
Im Moment werden Emotionen in der Neurobiologie als unsere Interpretation von autonomen, also unmittelbaren und gegebenenfalls überraschenden, jedoch unkontrollierbaren Körperreaktionen in Form von kleinster, unscheinbarer, kräftiger oder zuchtvoller Bewegung angesehen. Antonio Damasio (in „Der Spinoza-Effekt“ List Verlag 8.Auflage 2014) meint, Emotionen seien Interpretationen von Muskeltonusveränderungen, oft bevor wir sie wahrnehmen. Können diese Bewegungen als Bewegung “hinter” der Emotion oder “vor” der Interpretation angesehen werden? Wenn wir zum Beispiel “ich bin bewegt” sagen, meinen wir damit, dass wir emotional bewegt sind, und wissen wahrscheinlich selten, dass im wahrsten Sinne des Wortes die (autonome) Bewegung unseres Körpers auch daran beteiligt ist. Wenn wir also diese Bewegungen “hinter den Emotionen” und “vor den Interpretationen” erkennen könnten, ergäbe sich ein ganz neues Bild der Emotionen.
Aber welche Funktion haben die Emotionen oder welchen Zweck haben unmittelbare Bewegungen? Wollen sie uns auf etwas aufmerksam machen oder uns über irgendetwas informieren, wollen sie uns am ungestörten Lebensfluss hindern?
Die Bewegung beispielsweise hinter der Emotion Wut ist Kraft, meistens viel Kraft. Wende ich mich der Kraft zu oder beschimpfe ich die nächstbeste Person, die mir über den Weg läuft? Falls ich es zulasse, mich der Kraft zuzuwenden, merke ich möglicherweise, dass es wichtig ist, die Kraft in irgendeiner Form zu leben, da sich die Kraft ansonsten in meinem Körper als Starre zurückzieht. Aber wie lebe ich diese Kraft? Richte ich sie ungefiltert an mein Gegenüber, halte ich einen Moment inne, um zu reflektieren, wie ich mich meinem Gegenüber der Situation entsprechend verhalte, oder wende ich mich ab, um sie für etwas anderes zu nutzen?
Oder Schreck, der mir den Atem anhält und mich erstarren lässt? Unterstützt mich die Erstarrung davor, unter das Auto zu laufen, welches mich gerade erschreckt hat, oder kann ich die Erstarrung in eine Bewegung transformieren, um rechtzeitig wegspringen zu können? Oder erschrecke (erstarre) ich immer wieder, wenn ich ein Auto bremsen höre, auch wenn für mich keine Gefahr besteht?
Wie aber wird es möglich, die Emotionen in eine transformierende Kraft zu verwandeln? Transformation heisst Veränderung und bezogen auf die Bewegung bedeutet das, dass sich die Bewegung und damit verbunden der Spannungszustand der Muskeln verändert. Hier sind wir wieder bei Antonio Damasio: Der sich verändernde Spannungszustand der Muskulatur bedeutet auch eine Veränderung der Emotion. Wollen wir also unsere Emotion verändern, müssen wir unsere Bewegung respektive die Muskelspannung verändern. Dafür ist das Bewusstsein für die Emotion notwendig, denn nur dieses Bewusstsein bringt uns zur Wahrnehmung des Körpers als Voraussetzung, um seinem Spannungszustand zu verändern.
Und hier kommt das Geheimnis: Meine Erfahrung zeigt mir, dass sich eine Emotion bereits dann verändert, wenn wir sie in Bewegung bringen und tanzen. Der Tanz wandelt uns dann hin in eine Verfassung, die überraschend und unerwartet angenehm ist.